Literatur und Kritik, März 2023

Bilder der Ich-Funktion

 

Natürlich war es die richtige Entscheidung gewesen, das Kind zu bekommen, dachte Mario, er liebte seine Tochter. Und sie brachte Likes.

Dauerten ewig, die Familien-Bilder, obwohl Ole, der Praktikant, den sich Felicia und er teilten, alles gab, um die Kleine zum Lachen zu bringen. Wobei, eigentlich dauerten sie gar nicht ewig, wenn wir mal ehrlich sind, so gut machte Ole das. Zu gut, fand Mario, der mittlerweile bereute, dass er sich hatte breitschlagen lassen, ihn mit nach Apulien zu nehmen. Nicht mal bei ihm lachte die Kleine so aus dem Bauch heraus. Selbst wenn er Gesichter machte, die er sich von Ole abschaute, kam vielleicht ein Lächeln, aber nicht dieses Lachen zustande.

Egal, sagte er sich, während er die Kleine wickelte, auf der Badeliege am Pool, Olivenbäume drumherum. Weil wickeln, das konnte er, dafür brauchte er Oles Hilfe nicht. Auch wenn er wieder mal daran scheiterte, die Feuchttücher aus der Verpackung zu ziehen. Mit der einen Hand musste er die Beine der zappelnden Kleinen nach oben halten – also, wie sollte das gehen, allein mit der anderen Hand, bei der Art und Weise, wie die Dinger da drin hingen.

Vorher hätte er sie rausziehen, hätte sie zurechtlegen sollen, dachte er. Jedes Mal dachte er das. Zu spät natürlich, weil, verdammt, Mails, Direktnachrichten, Kommentare – an was sollte er denn noch alles denken? Wieso regelte das Packaging das nicht für ihn? Das war doch die Aufgabe des Produktdesigners, nicht seine, sich darum zu kümmern, dass sich die Feuchttücher mit einer Hand – und einzeln, wenn möglich – aus der Plastikverpackung ziehen ließen.

„Papa ist gleich fertig“, versuchte er die Kleine zu beruhigen, während er die Hand ruckartig hin und her bewegte, auf die Loslösung des Tuches hoffend. Doch es löste sich nicht, so sehr er es auch versuchte. Und wo lag überhaupt sein iPhone – nicht auf der Liege jedenfalls, wo es hätte liegen sollen, scheiße, das machte ihn nervös, wenn er es nicht zur Hand hatte, richtig nervös.

Da fiel ihm die Sache mit dem Fuchs wieder ein und er begann unkontrolliert zu fluchen, ordinär, wie er seit der Schulzeit nicht mehr geflucht hatte und er schleuderte die Feuchttücher von sich, platsch machte es, schon waren sie im Wasser gelandet. Da schwammen sie nun an der Oberfläche, für jeden sichtbar.

„Mario? Alles okay?“

Felicia, wo war sie denn, er musste sich in seiner Wut erst einmal wiederfinden, bevor er sie finden konnte. Kam ihm vor, als sähe er sich von oben, wie er vor der Liege stand, von ganz weit oben. Klein sah er aus, nicht mehr zu unterscheiden vom Rest, wie ein einzelner Ball in einem Bällebad.

 

 

The Vegandandy und Feliciatravel

Trullossantgiacomo, Alberobello, Apulien

„Nach 43 Versuchen endlich ein Lächeln. Unsere kleine Maus hat halt jetzt schon ihren eigenen Kopf 😉 Darin wollen wir sie mit unserer Liebe und unserem Zuspruch bestärken. Auch, wenn das natürlich immer eine Herausforderung ist – gerade im Urlaub, wenn man lieber entspannen will, am Pool liegen, sich sonnen. In der Realität ist es dann eher Windeln wechseln, Fläschchen machen, ins Bett bringen. Das Leben mit Kind ist eben ein unaufhörliches Abenteuer. Ein Abenteuer, das uns jeden Tag alles abverlangt, aber auch unglaublich glücklich macht.“

#familylife #familygoals #travelwithkids #traveltheworld

Vor 12 Minuten

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Felicia stemmte sich gegen das Bett, um es bis an die Seitenwand des Trulli-Appartements zu schieben. Denn wie sollte das gehen, fragte sie sich, so aus der Nähe, eingeklemmt zwischen Schrank und Bettgestell, das Bikini-Outfit im Spiegel betrachten.

Sie vermisste den begehbaren Schrank. Er befand sich im Kabinett der gemeinsamen Wohnung im Siebten, dort hatte sie auch den Spiegel, eine Maßanfertigung, anbringen lassen. Leider in zwei Teilen, anders passte die Spiegelwand nicht durch die Tür, doch die Fuge sah man kaum. Gab auf der Welt keinen besseren Ort, fand Felicia. Auch wenn sie die Fuge, die man kaum sah, störte, denn man sah sie ja doch.

„Aber nur wenn man weiß, dass sich dort eine Fuge befindet“, sagte Mario immer. Sagte er nur, um sie zu beruhigen. Außerdem, der hatte leicht reden, der bekam nicht jeden Tag Dickpics und Hassnachrichten zugeschickt. Der musste sich nicht ständig rechtfertigen, für das, was er tat. Auf ihrem Kanal reichte schon eine Fuge für einen Shitstorm, unfair, fand Felicia.

Versaute alle Post, dachte sie, während sie durch ihren Feed scrollte und nach Bildern suchte, auf denen sie zu sehen war; überall war die Fuge zu sehen. Es wäre klüger gewesen, die Wand aufzureißen, damit man den Spiegel als Ganzes hätte anbringen können. Doch irgendwie ärgerte sie der Gedanke auch – oder besser, sie ärgerte, dass er Eingang fand in ihren Kopf: in der Workation, hier im Trulli, zwischen Schrank und Bettgestell, das Bikini-Outfit im schmalen Spiegel betrachtend.

Also, genug jetzt, sagte sie sich, während sie das Bett wieder in die Ausgangsposition zurückschob und das iPhone auf den Nachtisch legte. Lasse ich das heute mit dem Bikini-Outfit, mache ich keinen Post, gönne ich mir ein paar Stunden offline. Fühlte sie sich gleich freier, als sie das Appartement in Richtung Pool verließ. Auch wenn sie noch einmal zurückkehrte, schnellen Schrittes, um dann doch das Handy mitzunehmen.

 

 

„Kann ich dir helfen?“ Schon die Frage war zu viel gewesen; allein Marios Blick, so abweisend. Warum, Ole verstand es nicht. Er tat doch alles, um ihm und Felicia den Alltag zu erleichtern. Dass er nicht genug Einsatz zeigte, das konnte man ihm wirklich nicht vorwerfen. Vor allem, wenn es um die Kleine ging. Kam ihm manchmal vor, als mache er ein Praktikum als Nanny und nicht als Content Creator.

Aber beschweren wollte er sich nicht. Alles besser, dachte Ole, als bei einem Konzern oder in einer Agentur zu arbeiten, den ganzen Tag vor dem Bildschirm zu hocken, nichts bestimmen zu dürfen. Die Fotos, die er von den beiden machte, sahen hunderttausende Menschen. Und die Textvorlagen schrieb auch er. Außerdem, die flexiblen Arbeitszeiten und jetzt Apulien, das taugte ihm. Nein, er konnte sich kein besseres Praktikum vorstellen. Umso mehr drängte ihn die Frage, was er eigentlich falsch machte.

Die ganze Geschichte hatte mit dem Fuchs begonnen, ja, sagte sich Ole, wenn er jetzt so darüber nachdachte, stimmt. Vorher, also bis zum Fuchs, gab es kaum Probleme, jedenfalls keine schwerwiegenden. Sogar das letzte Familien-Shooting war reibungslos verlaufen und der Post gut angekommen, sehr gut sogar.

Auf einmal tauchte also dieser Fuchs auf, rot und weiß gezeichnet, zwischen den Rosmarin-Büschen hinter dem Trulli – so jedenfalls hatte es Mario erzählt – da hinten, wo der Müll stand, mit der Pizza vom Vortag. Der Fuchs und die Margherita, das bringe Likes, so Mario, also pirschte er sich heran, das iPhone in der Hand, zwischen den Büschen verschwindend.

Blöd nur, dass gerade er dran war, auf die Kleine aufzupassen. Hätte er halt was sagen müssen, zu ihm oder Felicia, lagen ja daneben. Zum Glück bemerkte sie das Kind rechtzeitig, wie es in Richtung Pool krabbelte. Den Streit anschließend bekamen alle mit, auch das Influencer-Pärchen mit den Zwillingen aus Amsterdam, denen man die Freude darüber ansehen konnte.

Fast war Ole, als höre er Mario auch jetzt noch fluchen, während er sich zurückerinnerte. Nein, was war das denn: Er hörte ihn ja tatsächlich, den Mario, schon wieder. Wollte er gleich zurück zum Pool gehen – weit war er ja noch nicht gekommen, seit dem abweisenden Blick – bremste sich dann aber. Hätte er mich halt nicht wegschicken sollen, dachte Ole, kletterte in eine der Hängematten, gespannt zwischen Olivenbäumen, schloss die Augen und atmete tief durch.

 

 

Sie mochte das nicht, mochte die Kälte nicht, die Nässe da unten am Körper und vor allem mochte sie nicht ruhig liegen bleiben, schon gar nicht, wenn man ihre Beine so in die Luft hielt; viel zu weit nach oben, sodass ihr Gewicht auf den Rücken drückte.

„Pass doch auf“, hätte sie sagen müssen und es war, als wären die Worte bereits geformt, als lägen sie schon da wie Duplo Steine, die sie nur noch zusammensetzen musste. „Pap“, brachte sie hervor und „uft“, doch das reichte nicht, also hing sie da, weiterhin, während der Vater wedelte, mit dem Ding, das sie nicht mochte, dem nassen.

Sie wehrte sich, meckerte, begann zu strampeln, woraufhin sein Griff jedoch nur enger wurde. Bis er sie plötzlich losließ, der Papa und sie sogleich den Moment nutzte, um von der Liege hinunterzurutschen, so wie beim letzten Mal, rückwärts, tat gar nicht weh.

Robbend bewegte sie sich vorwärts, das ging am einfachsten, noch, unter der nächsten Liege durch, Richtung Wasser. Diesmal würde sie es schaffen, nichts würde sie aufhalten. Schneller krabbelte sie, so schnell sie konnte. Bis etwas anderes ihre Aufmerksamkeit erregte, das sich ebenfalls in der Sonne spiegelte und ja, das war auf einmal viel interessanter.

Was ein Glück, als sie es erreichte. Sie nahm es in die Hand und wischte sogleich darauf herum, wie sie es von den Eltern kannte. Und tatsächlich, es tat sich was, ein Bild erschien, ein Bild, das sich bewegte. Es gefiel ihr, dieses Bild; das Gegenüber. Es schenkte ihr Aufmerksamkeit, die ganze, sah sie an, lächelte. Da brach die Liebe aus allen ihren Babyporen und sie nahm das Ding, zog es näher, liebevoll, führte den Bildschirm zum Mund und versuchte sich an ihrem ersten Kuss.